Farbspiel ohne Leistungsdruck
Ein großes weißes Blatt Papier wird mit Reißnägeln an eine Wand mit bunten Farbspuren gehängt. In der Mitte des Raumes steht der Palettentisch, mit leuchtenden Farbtöpfen und Pinseln dicht aneinandergereiht. Hier kann sich jeder bedienen, Farben für sein Bild aussuchen – und beginnen zu malen. Schon bald sind alle hier im Malort auf ihr Bild konzentriert, lassen dem Pinsel freien Lauf. Treten manchmal zurück um das Bild zu betrachten, holen sich neue Farbe, malen weiter. „Fertig!“ ruft ein blondes Mädchen. Ihr Bild wird abgehängt, sie holt sich ein neues Blatt und malt gleich weiter.
In Österreich gibt es immer mehr Malorte, in denen das Malspiel nach Arno Stern praktiziert wird. Der 1924 in Deutschland geborene Arno Stern gründete 1949 in einem Pariser Vorort ein Malatelier für Kinder. Seine Idee war, einen Ort zu schaffen, an dem Kinder ihr Innerstes ausleben können, einen Ort abseits von Schule und Alltag. Mit den Jahren entwickelte er daraus das „Malspiel“ - ein Spiel, das auch seine Regeln hat: Über die Bilder, die im Malort entstehen, wird nicht kommuniziert. Die Bilder werden auch nicht mit nach Hause genommen, sondern bleiben in Mappen im Malort verwahrt.
„Der Prozess des Malens steht im Vordergrund. Hier im Malort findet keine Bewertung oder Interpretation der Bilder statt“, erklärt Alexandra Häupl, die gemeinsam mit Alexandra Jeschke in Salzburg den ältesten Malort Österreichs übernommen hat, hier wird bereits seit 40 Jahren gemalt. Auf der Suche nach kreativer Förderung für ihre vier Kinder ist Alexandra Häupl vor einigen Jahren auf das Malspiel gestoßen. „Zuerst hat mich und meine Kinder der Raum mit seinen prachtvollen Farben und seinen bunten Wänden begeistert“, erzählt sie. „In der weiteren Auseinandersetzung wurde mir aber bald klar, welchen positiven Einfluss das Spiel mit Pinsel und Farben neben den kreativen Aspekten auch auf die Konzentration und das Selbstbewusstsein hat.“
„Tanzen, Musizieren, Malen. Das sollte die Grundlage im Leben eines Kindes sein. Alles andere kommt von selbst dazu“, sagt Arno Stern in der Filmdokumentation „Alphabet“ von Erwin Wagenhofer. Im Film, der das Malspiel einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht hat, wird Arno Stern bei seiner Arbeit mit Kindern gezeigt, und sein Archiv aus Kinderzeichnungen – mittlerweile bewahrt er 500.000 Werke auf. Oft sprechen ihn Erwachsene auf der Straße an und erzählen ihm, dass sie als Kinder bei ihm gemalt haben, erzählt er. „Sie sagen: Das waren die schönsten Stunden meiner Kindheit.“
Jeder, er im Malort malt, hinterlässt Spuren an der Wand.
Im Linzer Stadtteil Dornach, in einem ehemaligen Klassenraum einer Volksschule, heißt am Mittwochnachmittag Simone Besenböck ihre Malenden willkommen. Alle kennen sich bereits aus, nehmen sich ein neues Blatt Papier oder malen am Bild vom letzten Mal weiter. Bei jeder Farbe liegen drei Pinsel, zwei dünne und ein dicker, und ein Becher mit Wasser. Simone Besenböck hat ebenfalls eine Ausbildung bei Arno Stern zur Malort-Dienenden gemacht, so heißen jene, die das Malspiel begleiten und die Malenden unterstützen. Ein ungewöhnlicher Begriff, an den man sich vielleicht erst gewöhnen muss: „Dienen ist ein antiquiertes Wort, man verbindet es mit Erniedrigung“, sagt Simone Besenböck: „Ich kann mittlerweile aber gut mit dem Begriff, denn es tut jedem gut, wenn ich ihn in seinen Bedürfnissen unterstütze. Ich leite ja nicht, sondern hänge Bilder um, wasche die Pinsel, ich bin da, wenn mich jemand braucht.“
Wie das kleine blonde Mädchen zum Beispiel: Es ruft laut „Reißnagel!“ und Simone Besenböck kommt und steckt die Reißnägel des Bildes um. Eine Regel des Malorts besagt, dass nicht über die Nägel gemalt werden darf, und so steckt Simone Besenböck sie um, wenn nach ihr gerufen wird. Während es Erwachsenen oft schwer fällt, sich wegen einer Kleinigkeit bedienen zu lassen, genießen die Kinder es sehr. „Sie fühlen sich wichtig genommen und ich sehe, wie gut ihnen das tut.“
In den meisten Malorten malen altersgemischte Gruppen, ebenfalls eine wichtige Kernidee von Arno Stern. Auch hier in der Linzer Volksschule VS 51 sind neben einigen Kindern im Kindergarten- und Volksschulalter auch eine Mutter und ein Vater, die neben ihren Kindern malen, und zwei ältere Männer. „Erwachsene und Kinder malen miteinander und sind im Malort auf gleicher Ebene“, erklärt Alexandra Häupl. Für alle gelten die gleichen Regeln, und da es nicht um Leistung geht, hat niemand einen Vorsprung oder mehr Erfahrung. „Es ist ganz wichtig, dass die Gruppen altersgemischt sind“, sagt Simone Besenböck. „Die Erwachsenen beruhigen die Gruppe und die Kinder beleben die Gruppe. Wenn nur Erwachsene malen, ist es oft viel steifer, und wenn nur Kinder malen, ist es viel lauter und das Spiel wird nicht so ernst genommen.“
(c) Iris Kagerer
Carina Nimmervoll hat nach vielen Jahren, in denen sie selbst im Malort in Salzburg gemalt hat, einen Malort in einem Jugendzentrum in der Linzer Innenstadt übernommen. Für sie ist vor allem der geschützte Raum im Malort wichtig, eine Welt abseits von Leistungsdruck und Konkurrenzdenken: „Ich glaube, dass solche Orte, in denen es nicht um Leistung geht, immer wichtiger werden. Hier geht es um das Tun, um das Malen an sich, nicht um das Produkt, das erzeugt wird.“ Darum sei es auch so wichtig, dass nicht über das Bild gesprochen wird und dass es nicht mitgenommen wird – sowohl negative als auch positive Bewertungen des Bildes können sich ungünstig auf die Entwicklung des Kindes auswirken, meint Carina Nimmervoll. Das Kind soll einfach ungestört malen dürfen, der Freude wegen, aber nicht um jemandem zu gefallen. „Aber natürlich braucht jeder Mensch Aufmerksamkeit“. Und auch dazu dienen die Spielregeln: Über das Reißnagelumstecken oder das Pinselwaschen gibt es immer wieder Kommunikation. „Sie brauchen nur ‚Reißnagel’ sagen und ich komme. Das lenkt davon ab, zu fragen ‚Wie findest Du mein Bild?’
Die Kinder gehen mit den Spielregeln ganz selbstverständlich um, meint Alexandra Häupl. Oft ist es für die Eltern schwieriger, die die Bilder ihrer Kinder sehen und zuhause haben wollen. Deshalb ist vor dem Beginn eines Malort-Jahres ein Elterngespräch sehr wichtig, damit auch die Eltern verstehen, dass es nicht um das Werk, sondern um den Prozess geht.
Es sei wichtig, sagt Simone Besenböck, das Malspiel regelmäßig zu machen: „Auch Geige spielen kann ich nicht nach drei Stunden, und auch hier beim Malen wird eine Fertigkeit gelernt. Ich komme zu einem wahren Können, wenn es ich es immer wieder mache. Ich kann mich immer wieder ausprobieren, es gibt immer wieder ein neues Blatt.“
Im Linzer Malort sind manche Kinder schon müde und hören heute früher auf, zwei kleine Mädchen beginnen kurz vor Ende noch ein neues Bild. Nach und nach leert sich aber der Raum, draußen werden Hände gewaschen und Äpfel und Kekse verspeist. Die Kinder lassen die Bilder im Raum und denken wahrscheinlich schon gar nicht mehr über sie nach. Simone Besenböck zitiert dazu noch einmal Arno Stern: „Was soll nach dem Tanzen anderes bleiben als das Gefühl getanzt zu haben?“
Malorte in Linz und Oberösterreich:
Malort Linz
Mag. Simone Besenböck
Aubrunnerweg 43, 4040 Linz
www.malort-linz.at
malspiel@malort-linz.at
MalSpiel in Linz
Carina Nimmervoll
Steingasse 5, 4020 Linz
0699/17 18 14 16
carina.nimmervoll@malspiel-linz.at
www.malspiel-linz.at
Gosis Malträumerei
Sigrid Gotzmann
Leo-Gabler Straße 55
4400 Steyr
0699-19690420
info@gosis.at
www.gosis.at
Mag. art. Josef Marot
Loibersdorf 17, 4210 Unterweitersdorf
josefmarot@a1.net
0664 1357478
Malort am Traunsee im Tanzkammergut
Linda Maria Tinsobin
Georgstraße 6, 4810 Gmunden
0680 3059156
l.Tinsobin@gmx.net
Malort Raumzeitfarbe
Birgit Schwendtner 0699/11552466,
Gerlinde Novotny 0650/6531875
Kalvarienberg 5, 4820 Bad Ischl
info@malort-raumzeitfarbe.at
www.malort-raumzeitfarbe.at
Heidi Schweitzer
Malspiel im Medien Kultur Haus
Pollheimerstr. 17, 4600 Wels
0699/118 77 111
www.medienkulturhaus.at/malspiel
h.schweitzer@medienkulturhaus.at
Dieser Artikel ist auch in der Winterausgabe des Familienmagazins Tipi erschienen.